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S E E K R I E G    1939 - 1945

 Letzte Änderung: 01.12.2016

Seekrieg 1945

8./9. März 1945:
Handstreich auf Granville

Angriff auf den alliierten Nachschubhafen

 

 

Während Anfang März 1945 bereits in Köln gekämpft wurde, hielten weit im Westen noch einige deutsche Stützpunkte die Stellung. Die Atlantik-Festungen Lorient, Saint Nazaire und La Rochelle gehörten ebenso dazu wie Dünkirchen und die Stellungen nördlich und südlich der Gironde-Mündung. Auch auf den britischen Kanalinseln Jersey, Guernsey, Alderney und Sark befanden sich noch etwa 30.000 deutsche Soldaten.

 

Die 319. Infanterie-Division war im Mai 1941 nach der Aufstellung und Ausbildung auf die Kanalinseln verlegt worden. Kommandeur war seit Februar 1945 Generalmajor Rudolf Wulf, der am 19. August 1944 als Kommandeur des Grenadier-Regiments 422 das Eichenlaub erhalten hatte.

 

Seit dem 25. Juli 1944 war Vizeadmiral Friedrich Hüffmeier Seekommandant der Kanalinseln, am 27. Februar 1945 erfolgte dort seine Ernennung zum Wehrmachtsbefehlshaber. Neben den an Land stationierten Einheiten verfügte er über Seestreitkräfte, die nach der Invasion abgeschnitten worden waren und sich dann auf die Kanalinseln zurückgezogen hatten. Sein 1. Führungsstabsoffizier wurde im August 1944 Kapitänleutnant Armin Zimmermann, der in Personalunion die 46. Minensuchflottille befehligte. Die Flottille wurde durch die verbliebenen Boote der am 29. November 1944 aufgelösten 2. Vorposten-Flottille verstärkt. Zu den verfügbaren Seestreitkräften gehörten auch die drei Artillerie-Fähren AF 65, AF 68 und AF 71, die zur 6. Artillerieträger-Flottille gehört hatten. Die Fähren wurden am 4. Juli der 2. Vorposten-Flottille unterstellt und bildeten nach deren Auflösung eine selbständige Gruppe. Oberleutnant zur See d. R. Otto Karl befehligte diese Gruppe. Darüber hinaus stand die 24. Minensuch-Flottille unter Kapitänleutnant Carl-Friedrich Mohr mit vier modernen Minensuchern sowie die Hafenschutzflottille Kanalinseln unter Korvettenkapitän Kurt Lampferhoff zur Verfügung.

 

Nachdem die Wehrmacht am 30. Juni und 1. Juli 1940 die Kanalinseln besetzt hatten, wurden zahlreiche Artillerie- und Flak-Stellungen gebaut. Die Inselverwaltung blieb jedoch in britischer Hand und die einheimischen Polizisten gingen gemeinsam mit deutschen Soldaten auf Streife. Vor der Einnahme der Inseln ließen sich nur 22.656 von rund 94.000 Einwohnern evakuieren. Nach der Einnahme des französischen Festlandes führte dies zu erheblichen Versorgungsproblemen. Neben den Besatzungstruppen mußten über 70.000 Einwohner ernährt und mit Heizmaterial versorgt werden. Der Kohlemangel führte dazu, daß die mit Kohle befeuerten Schiffe nur noch bedingt einsatzfähig waren. Die Versorgungslage verschlimmerte sich so sehr, daß sich die Kriegsparteien auf höchster Ebene auf Hilfslieferungen für die Einwohner verständigten. Im Dezember erreichte das erste Versorgungsschiff des Roten Kreuzes die Inseln. Während nun die Not der Einwohner gelindert war, mußten die Besatzungstruppen zusehen, wie sie sich ernährten. Für Winston Churchill waren die etwa 30.000 deutschen Soldaten Kriegsgefangene, die „sich selber beköstigten, unterhielten und bewachten“. Brennholz gab es nicht mehr und aufgrund des Kohlemangels mußte sogar das Elektrizitätswerk stillgelegt werden. Selbst Streichhölzer wurden rationiert. Die Tagesverpflegung der deutschen Soldaten wurde schrittweise bis auf 1125 Kalorien gekürzt. Krankheiten, insbesondere Tuberkulose, und Todesfälle waren die Folge.

 

Zur eigenen Versorgung sowie zur Hebung der stark angeschlagenen Moral entschloss sich der Befehlshaber, Vizeadmiral Friedrich Hüffmeier, in dieser fast ausweglosen Situation zu einem Angriff auf den alliierten Nachschubhafen Granville.

 

Die Planung und die Durchführung dieser äußerst riskanten Operation oblag bereits bewährten Frontoffizieren. Armin Zimmermann als 1. Führungsstabsoffizier (Deutsches Kreuz in Gold am 4. März 1942 als Kommandant eines Räumbootes) war maßgeblich an der Planung beteiligt. Er sollte in den 1970er Jahren zum Admiral und Generalinspekteur der Bundeswehr aufsteigen. Den Hauptschlag gegen den Hafen sollte Kapitänleutnant Carl-Friedrich Mohr führen. Auch er hatte als Kommandant eines Räumbootes am 18. August 1942 das Deutsche Kreuz in Gold erhalten. Das Ablenkungsmanöver sollte Oberleutnant zur See d. R. Otto Karl leiten, dem am 2. Juli 1944 als Kommandant von AF 65 das Deutsche Kreuz in Gold verliehen worden war.

 

Der Angriffsplan sah ein gemeinsames Auslaufen der kleinen Streitmacht von St. Hélier aus vor. Auf der Höhe von Coutainville sollte sich der Verband gegen 22 Uhr trennen. Die Gruppe II unter Oberleutnant zur See d. R. Otto Karl besaß den Auftrag, mit den Artilleriefähren westlich von den Chausey-Inseln vorstoßen, um einen Angriff auf St. Malo vorzutäuschen. Der eigentliche Angriff auf Granville sah drei Angriffseinheiten vor. Gruppe III mit drei kleinen Hafenschutzbooten sollte auf der nördlichen Seite Kommandotruppen beim Kasino absetzten. Gruppe I hatte die Halbinsel zu umrunden. Während zwei Minensucher aus südwestlicher Richtung Feuerunterstützung geben sollte, gingen M 412 mit einem weiteren Minensucher und einem Schlepper gegen den Hafen vor.

 

Am 8. März 1945 kurz vor 21 Uhr lief der Verband planmäßig aus. Um 21.58 Uhr wurden die Boote von der Radarstation Coutainville 20 Seemeilen vor Granville erfasst. Kurz darauf trennten sich die Gruppen in dem von gefährlichen Felsen charakterisierten Seegebiet. Im Fahrwasser zwischen den Minquiers-Inseln und den Chausey-Inseln lief Oberleutnant zur See d. R. Otto Karl mit seinen drei Artillerieträgern südwestlichen Kurs. Etwa 15 Seemeilen westlich von Granville stieß Karl auf das US-amerikanische Wachboot PC 564, das bereits über die Anwesenheit deutscher Schiffe informiert war. Um 0.15 Uhr eröffneten beide Seiten fast zeitgleich das Feuer. Bereits mit der ersten Salve traf eine Granate das Ruderhaus von PC 564, was zu erheblichen Personalausfällen führte. Eine weitere Granate schlug beim 4-cm-Geschütz ein. Darüber hinaus fiel auf dem Wachboot das 7,6-cm-Geschütz durch eine Störung aus. Nachdem die deutsche 2-cm-Flak auch noch die Bedienungen der Oerlikon-Flak ausgeschaltet hatte, stellten die Deutschen das Feuer auf den nun wehrlosen Gegner ein. Karl ließ das Gebiet nach weiteren Schiffen absuchen und beschoss später noch den Leuchtturm der Chausey-Inseln. PC 564 erreichte später schwer beschädigt die Küste und strandete dort.

 

In der Zwischenzeit hatten die Kampfgruppen I und III Granville erreicht. Im Fluthafen lagen fünf Schiffe, von denen vier aufgrund des Wasserstandes in der Nacht auslaufen sollten. Beladen wurden sie von französischen Hafenarbeitern und etwa 60 deutschen Kriegsgefangenen. Obwohl die Ortung der deutschen Schiffe bekannt war, hatte man an Land keinerlei Maßnahmen getroffen. Zu utopisch schien den Verantwortlichen die Vorstellung, daß die Deutschen hier angreifen würden. Während zwei Minensuchboote nun Feuerstellung südwestlich von Granville bezogen, steuerte Kapitänleutnant Mohr mit zwei Booten und einem Schlepper in den Hafen. Erst kurz vor dem Erreichen der Mole erkannte man an Land die nächtlichen Besucher. Kurz vor der Mole lief M 412 jedoch auf Grund. Das zweite Minensuchboot konnte dagegen anlegen und die Landungstrupps absetzen. Die Stoßtrupps von M 412 setzten mit Hilfe der Beiboote über. Nach den zuvor festgelegten Zielen erledigten die Soldaten ihre Aufgaben: Die Besetzung der Hafenausgänge und die Sprengung der Kräne zum Beladen der Schiffe. Ebenso wurde ein Küstenfahrzeug gesprengt. Die US-amerikanischen Soldaten stellten im Feuer der Schiffsartillerie der Sicherungsgruppe sowie der vorrückenden Landungstrupps ihren Widerstand ein und zogen sich zurück. Die befreiten Kriegsgefangenen kannten sich im Hafen bestens aus, so daß alle wichtigen Stellen schnell besetzt werden konnten. Da sich auf der Eskwood 112 Tonnen Kohle befanden und auch schon fahrbereit war, wurde dieser Dampfer als Prise auserkoren. An Bord fand man außerdem wichtige Schlüsselunterlagen. Die anderen Schiffe im Hafen sollten durch Sprengladungen oder Artillerie versenkt werden. Nach etwa 90 Minuten verließen die Deutschen gegen 3 Uhr den Hafen. M 412 konnte trotz aller Bemühungen nicht mehr freikommen, so daß das Schiff durch Sprengsätze und Wasserbomben vernichtet werden mußte.

 

Auch der Angriff der Gruppe III verlief erfolgreich. Die drei Hafenschutzboote von Kapitänleutnant Lampferhoff setzten die Infanteristen von Hauptmann Schellenberg planmäßig ab. Die gelandeten Soldaten brachten im Kasino und benachbarten Hotels einige Gefangene ein. Abgesehen von einigen kleinen Feuergefechten gab es keinen nennenswerten Widerstand, so daß Angriffsgruppe ohne Verluste zurückkehrte. Neun Gefangene – darunter ein Oberst – wurden mit nach St. Hélier genommen.

 

Als gegen vier Uhr US-amerikanische Panzer anrollten, war in Granville schon längst Ruhe. Lediglich auf dem brennenden Minensuchboot gab es noch Detonationen. Die deutschen Verluste dieser Aktion beliefen sich auf sechs Gefallene und 30 Verwundete. Etwa 60 Kriegsgefangene wurden befreit. Obwohl sich die Lage der deutschen Soldaten auf den Kanalinseln nicht wesentlich verbesserte, hob der Einsatz sichtlich die Moral. Die Beteiligten erhielten als Belohnung Sonderrationen.

 

Für die erfolgreiche Durchführung dieser letzten Offensivaktion im Westen wurden Kapitänleutnant Carl-Friedrich Mohr und Oberleutnant zur See d. R. Otto Karl mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet. Der Quartiermeister der Kanalinseln, Korvettenkapitän (MA) Rudolf Reich, der den Mangel zu verwalten hatte und ständig improvisieren mußte, erhielt noch im Mai 1945 das Deutsche Kreuz in Silber.



Arnd Schubeus

 


Weiterführende Literatur:

Fock, Harald: Flottenchronik, Koehlers Verlagsgesellschaft, Hamburg, 2000

Mordal, Jacques: Handstreich auf Granville, Gerhard Stalling Verlag, Oldenburg und Hamburg, 1965

Rohwer, Jürgen / Hümmelchen, Gerhard: Chronik des Seekrieges 1939-1945, Manfred Pawlak Verlagsgesellschaft, Herrsching

 

Seekrieg 1945

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Kriegsmarine 1935 - 1945

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